10/2005 – 7/2006

Prof. Dr. Brigitte Wießmeier / zwei Diplomandinnen der EHB

Veröffentlichung
Den vollständigen Abschlussbericht finden Sie hier.


Initiative
Die Evaluationsstudie wurde im Rahmen eines Forschungssemesters durch Frau Prof. Dr. Brigitte Wießmeier durchgeführt.

Aufgabe
Aus dem im Jahre 2005 erschienenen Integrationskonzept für Berlin lassen sich für das vorlie-gende Thema grundlegende Parameter ableiten. Unter Integration wird in diesem Konzept insbesondere eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaft-lichen Leben verstanden. Daraus ergeben sich vier Dimensionen für die Berliner Integrationspolitik, wovon die vierte "Interkul-turelle Öffnung der Aufnahmegesellschaft" lautet. Dazu gehören sowohl eine offene, akzeptie-rende, demokratische Haltung der Aufnahmegesellschaft gegenüber Migranten als auch die interkulturelle Öffnung der Verwaltungs- und Bildungsinstitutionen" (S. 8).

Unter den zwölf Essentials der Berliner Integrationspolitik findet sich das fünfte zur "neuen Kundenorientierung der Berliner Verwaltung und der sozialen Dienste" (S. 11), die in erster Linie durch eine Öffnung der Regelangebote geschehen soll. Im zehnten Essential, zum inter-kulturellen Potential der Stadt, heißt es: "Ein zustimmender/akzeptierender Umgang mit Vielfalt fördert die interkulturelle Kompetenz (.)" (S. 12). Ein Querschnittziel der Senatspolitik ist es, Zugänge zu Regeldiensten und Verwaltungen durch interkulturelle Öffnung und somit Fortentwicklung interkultureller Kompetenz zu erleichtern (S. 14).

Bereits 2002 wurde die interkulturelle Ausrichtung der Verwaltung in die Geschäftsordnung der Berliner Verwaltung aufgenommen. So wurden z. B. Mitarbeiter der Berliner Ausländerbe-hörde und der Polizei geschult sowie Englischkurse und Supervision angeboten. Auch ein Hin-weis auf das von der Autorin u. a. in der Justizvollzugsanstalt für Frauen durchgeführte XENOS-Projekt TRIKKO fehlte nicht.

Vorgehen/Methode
Im Rahmen einer Wirksamkeitsstudie wurden dreizehn Weiterbildungen zur Interkulturellen Kompetenz/Interkulturellen Öffnung evaluiert, deren Arbeitsansatz als kulturgenereller Ansatz mit erfahrungsorientierten kulturspezifischen Anteilen bezeichnet werden kann. Das Sample (n=64) setzt sich weitgehend aus Weiterbildungsgruppen zusammen, in denen die Autorin partiell als Dozentin, teilweise auch als Organisatorin zwischen den Jahren 1997 und 2005 mitwirkte.

Ausgewählte Ergebnisse

Hintergründe von Teilnahmebedingungen

  • Überwiegend ist von einer freiwilligen Teilnahme auszugehen, da 80 % der Befragten entsprechend antworteten. Etwa der Hälfte der Befragten war die Weiterbildung empfohlen worden, wobei dies jeweils eher durch Vorgesetzte (36 %) als durch Kollegen (17 %) geschah. Auffallend ist, dass der höchste Anteil Nichtfreiwilliger sich bei Mit-arbeitern von Freien Trägern findet und diese die Teilnahme am häufigsten von ihren Vorgesetzten empfohlen bekommen haben.
  • Im Vordergrund des Interesses an der Weiterbildung steht (mit 95 %) eindeutig die Ver-besserung der eigenen Arbeit. Karrierechancen (17 %) scheinen ebenso wie private Gründe (14 %) das Interesse daneben nur gering zu beeinflussen.


Zur Erinnerung und Reflexion von Seminarinhalten

Aus einer Liste von zehn Schwerpunktthemen sollten Bewertungen hinsichtlich Erinnerung, Praxisrelevanz und Transfer vorgenommen werden.

  • Bei der Frage "Welche Inhalte waren/sind für Ihre berufliche Tätigkeit wie relevant?" konnte zwischen fünf Bewertungen gewählt werden. Wie bei der vorangegangenen Frage ragen die Items "Interkulturelle Kommunikation", "Beratung"sowie "Selbstreflexion" heraus. Einzelne Themen können durch den Vergleich von früherer und aktueller Relevanz Hinweise auf eine Veränderung der Praxis geben. So hat beispielsweise die "Arbeit mit Sprachmittlern" an Bedeutung gewonnen, was als ein positives Signal für eine Veränderung der Praxis gewertet werden kann. Hier sind jeweils Steigerungen der Relevanz von 55 % auf 68 % zu erkennen.
  • Die Antworten der Teilnehmer auf die Frage "Wie gelang der Transfer in die Praxis durch Sie?" weisen mit 49 % einen gut gelungenen Transfer aus. Zusammen sind die Kategorien "sehr gut" und "gut" zu 57 % vertreten; "schlecht" und "sehr schlecht" zusammen immer-hin zu 12 %. Wie bereits bei den vorangegangenen Fragen heben sich die Seminarinhalte "Interkulturelle Kommunikation", "Selbstreflexion" und "Interkulturelle Beratung" hervor. Ein Erinnern an Inhalte, Praxisrelevanz und Transferleistung scheint auf das Engste miteinander verwoben, d. h. es wird erinnert, was für den Berufsalltag relevant ist.
  • Die Frage nach den Auswirkungen der untersuchten Weiterbildungen stellt eine zentrale Frage der vorliegenden Untersuchung dar. Es sollten Bewertungen von Veränderung hinsichtlich neun vorgegebener Aspekte vorgenommen werden. Insgesamt sprechen sich 87 % der Befragten für eine erfahrene Veränderungoder Verbesserung in der Berufspra-xis durch die erworbene interkulturelle Kompetenzaus, was als gutes Ergebnis gewertet werden kann. Es wird belegt, dass sich die erworbene interkulturelle Kompetenz am stärksten durch mehr "Verständnis für spezifische Problematiken", "die Wahrnehmung von Verhaltensweisen" sowie eine "Aufgeschlossenheit/Offenheit" verändert, gar verbes-sert hat. Als Unterschied zwischen lang- und kurzfristigen Weiterbildungen zeichnet sich ein leicht positiver Trend von Veränderung/ Verbesserung in der Praxis durch Weiterbil-dungen mit Organisationsberatung ab.
  • Erste interne Selbstevaluationen diverser Seminare hatten bereits verschiedentlich Hinweise auf Umsetzungsprobleme gegeben. Diese "Hinderungsgründe" sollten heraus-gearbeitet werden. Laut der Antworten bestehen primäre Hinderungsgründe sowohl bei der Umsetzung der Theorie in den Berufsalltag durch "fehlende zeitliche Ressourcen", als auch im "fehlenden kollegialen Interesse". An zweiter Stelle steht das "fehlende Arbeitge-berinteresse", was bei dem großen Anteil hier vorliegender top down Ansätze (10 von 13) überrascht. Eine "fehlende Arbeitsplatzrelevanz" wird eher nicht als Hinderungsgrund der Umsetzung angesehen und keineswegs wird eine "fehlende inhaltliche Überzeugung" dafür verantwortlich gemacht. Den Freien Trägern als Arbeitgebern wird ein hohes Interesse an einer interkulturellen Öffnung bescheinigt, während sich die Werte der Gruppe Öffentlicher Dienst in beiden Kategorien im unteren Feld kaum unterscheiden. Insgesamt wird eine große Differenz zwischen Hinderungsgründen von Teilnehmern des Öffentlichen Dienstes und von Freien Trägern offenbar. Letztere erfahren danach viel Unterstützung bei der Umsetzung, die erstgenannten dagegen eher wenig.


Überprüfung der Methodik

  • Zwei Drittel der Befragten bewerten die eingesetzten Methoden und Übungsansätze als "hilfreich" oder "sehr hilfreich", was als Bestätigung einer gelungenen Methodik der Dozenten angesehen wird. Hinsichtlich der einzelnen Methoden fallen als "besonders hilfreich" die "selbstreflexiven Übungen" sowie die "Fallarbeit" auf, als "hilfreich" die Arbeit in "Kleingruppen" sowie im "Plenum".
  • Für die aktuelle Berufspraxis werden die aufgeführten Methoden doppelt so häufig als "sehr wichtig" angesehen, womit der Weiterbildung eine hohe Praxisrelevanz bescheinigt werden kann. Ausgehend von der These, dass sich Arbeitsbedingungen und Handlungs-ansätze zwischen den Trägern Sozialer Arbeit unterscheiden, wurden die Gruppen "Öffentlicher Dienst" und "Freie Träger" betrachtet. Danach sind alle Methoden für die Gruppe der Freien Träger wichtiger als für die des Öffentlichen Dienstes.


Fragen zur Einschätzung der Wirksamkeit der Weiterbildung

  • Bei der Mehrheit aller Befragten hat sich das Arbeitsgebiet durch strukturelle Verände-rungen nicht erweitert (80 %). In der Teilnehmergruppe, die als Teil der Weiterbildung auch Organisationsberatung innerhalb ihrer Institution erfahren hat (n=31), wurden mehr Veränderungen des Arbeitgebiets angegeben als in der restlichen Gruppe.
  • Durch die Fortbildung ist für drei Viertel der Gesamtgruppe ein "unmittelbarer Nutzen für die praktische berufliche Tätigkeit, d. h. eine inhaltlich-konkrete Anwendungsmög-lichkeit" entstanden. Wird die Gesamtgruppe in Weiterbildung mit und ohne Organi-sationsberatung unterschieden, so verändert sich kaum etwas an der Gesamtaussage, was die Bedeutung von begleitender Organisationsberatung erneut in Frage stellt.
  • Die Antworten auf die Frage "Haben Sie den Eindruck, dass die Kommunikation seit der Weiterbildung besser als vorher gelingt?" deuten darauf hin, dass sich in allen Teil-nehmergruppen vor allem die "Kommunikation mit Klienten" (59 %) verbesserte. An zweiter Stelle (mit 30 %) steht die "Kommunikation mit externen Kooperationspartnern". Es folgt die verbesserte "private Kommunikation" (22 %) sowie zuletzt die "Kommuni-kation innerhalb der Institution" mit 17 %. Keine Verbesserung stellen 17 % der Befrag-ten fest. Da 94 % der Teilnehmer ihr Interesse an der Fortbildung mit einer angestrebten Verbesserung der Klientenarbeit begründeten (s. o.), darf in dieser Hinsicht von einer weitgehenden Zufriedenheit ausgegangen werden.
  • "Hat die Weiterbildung zu einer interkulturellen Orientierung Ihrer Institution beitra-gen können?" Etwa ein Drittel aller Befragten ist der Meinung, dass sowohl bereits vor der Weiterbildung eine interkulturelle Orientierung in ihrer jeweiligen Institution bestand als auch, dass diese Orientierung für sie verpflichtend sei. Jeder Fünfte erkennt keinen Beitrag zur Veränderung der Organisation und nur knapp jeder Zehnte sieht eine Veränderung hin zur Interkulturellen Öffnung. Bei einer Gegenüberstellung der Teil-gruppierungen mit und ohne Organisationsberatung werden doppelt so viele positive Stimmen bei ersterer, besonders in der abschließenden Wirkung, deutlich. Auch die Neinstimmen fallen dort weit geringer aus. Eine der Weiterbildung vorangegangene Öffnung wird in dieser Teilgruppe weit weniger positiv eingeschätzt als bei der Teil-gruppe ohne Organisationsberatung. Hiermit kann einer ergänzenden Organisations-beratung im angestrebten Öffnungsprozess ein erkennbarer Erfolg zumindest in der Teilnehmerwahrnehmung bescheinigt werden.
  • Die Antworten auf die offene Frage "Welche neuen Fragen/Herausforderungen haben sich nach der Fortbildung ergeben?" lassen sich im Wesentlichen in vier Kategorien aufteilen: 1. Strukturelle Aspekte wie: "Warum hat die Institution nach dem Ende der Weiterbildung so wenig Interesse an der Fortsetzung des Prozesses?" 2. Inhaltlich Aspekte wie: "Ich wüsste gerne mehr über Werte, Normen, Rechtsprechung sowie Rechtsempfin-den anderer Kulturen." 3. Gesellschaftliche Aspekte wie: "Was bedeutet wirklich Inte-gration?" 4. Transferaspekte wie: "Hilfeplanung unter Berücksichtigung des interkul-turellen Aspekts". Im Vordergrund stehen strukturelle Fragen, die bisher, insbesondere für Mitarbeiter mit Multiplikatorenfunktion, unbefriedigend geklärt wurden.
  • Was bedeutet Interkulturelle Kompetenz für die Kultur Ihrer Institution?" Gemäß der Gesamtgruppenergebnisse ist interkulturelle Kompetenz bereits Teil der jeweiligen Unternehmenskultur und müsste gleichermaßen besser in das Leitbild integriert werden. Weniger als 10 % sehen keinen Zusammenhang zwischen dieser Kompetenz und der Institution und ebenso, trotz Nützlichkeit, keine Notwendigkeit für eine Leitbildver-ankerung. Einen zentralen Unterschied zwischen den hier untersuchten Trägern machen die Äußerungen zur inter-kulturellen Kompetenz als "Teil der jeweiligen Unternehmenskultur" aus. Die Teilnehmer der Freien Träger geben zu drei Viertel ein positives Votum ab, die des Öffentlichen Dienstes dagegen nur zu knapp einem Drittel.


Fragen zur Bedeutung der Fortbildung im Hinblick auf eine interkulturelle Öffnung

  • "Bestand für die Organisation ein konkreter Handlungsbedarf hinsichtlich einer inter-kulturellen Öffnung? Wenn ja, welcher?" In 22 Kommentaren wird vorrangig auf den erhöhten Migrantenanteil unter den Klienten verwiesen. An zweiter Stelle stehen Hin-weise auf den Arbeitsauftrag z. B. allgemein durch den Geldgeber, durch das Jugendamt oder den Arbeitgeber: "Verbesserung des Beratungsangebots fordert erhöhte Kompetenz der Mitarbeiter". Allerdings gibt es auch Hinweise auf die allgemeine Verpflichtung zur Veränderung, so auch durch ein neues Leitbild der Institution, so heißt es auch: "Verankerung im Leitbild bedeutet mehr Prestige!".
  • Es ist offensichtlich, dass die befragten Weiterbildungsteilnehmer die "politische Not-wendigkeit einer interkulturellen Öffnung" als sehr hoch oder hoch einschätzen. Werden Vergleiche zwischen den Trägern gewagt, so sind lediglich im Öffentlichen Dienst skep-tische Äußerungen zu verzeichnen, allerdings bei weit mehr zustimmenden Angaben.
  • Der größte Teil der Befragten (72 %) spricht sich für eine hohe und sehr hohe "wirtschaft-liche Notwendigkeit hinsichtlich einer interkulturellen Öffnung sozialer Organisationen" aus.
  • Fast drei Viertel (70 %) der Befragten sind der Meinung, dass eine "interkulturelle Öffnung sozialer Organisationen einen wesentlichen Beitrag zur Integration von Migran-ten leisten kann". Unsicher sind sich noch 14 %, die weitgehend im Öffentlichen Dienst anzutreffen sind. 11 %, verteilt auf beide Gruppen, halten sogar die interkulturelle Öffnung der Sozialen Dienste für keinen wesentlichen Beitrag zur Integration der in Deutschland lebenden Migranten. Mit diesen stark gekürzten Ergebnissen werden Schlaglichter auf verschiedene von Verantwortlichen unbedingt zu berücksichtigende Weiterbildungsbedingungen geworfen, welche allerdings noch im Rahmen einer breiter angelegten Evaluationsstudie zu vertiefen wären, insbesondere hinsichtlich der Wirkungen von paralleler Organisationsberatung.