01/2010 12/2010

Prof. Dr. Karlheinz Thimm / Prof. Dr. Martina Stallmann / Magdalena Dumbeck / Anke Sommer / Studierende der EFB

Auftraggeber
LebensWelt gGmbH Berlin

Aufgabe
Ziel der Evaluation war die Untersuchung

  • von Veränderungen in den Familien durch Sozialpädagogische Familienhilfe,
  • der Zufriedenheit mit der Hilfe auf Seiten der Nutzer/-innen,
  • der interkulturellen Organisationsqualität von LebensWelt,
  • der interkulturellen Fachkraftkompetenz.

Allerdings konnten die Hilfeeffekte und die interkulturelle Güte nur auf der Ebene der subjektiven Auffassungen untersucht werden. Nach Möglichkeit sollen Erkenntnisse zu Zusammenhängen zwischen den Untersuchungsbereichen gewonnen werden.

Methoden
Das Untersuchungsdesign basierte auf einem komplexen Forschungskonzept.
Elternbefragung

  • 75 „begleitete“ dialogische schriftliche Befragungen von Eltern
  • 30 daraus entstehende vertiefende Interviews

Leitungs-, Jugendamts- und Fachkräftebefragung

  • 3 Interviews mit Führungskräften LebensWelt
  • schriftliche Befragung von 75 Fachkräften von LebensWelt
  • 1 x Gruppendiskussion Koordinator/-innen LebensWelt
  • 4 x Gruppendiskussionen Fachkräfte LebensWelt
  • 2 x Gruppendiskussionen Jugendamt

Aufarbeitung von gesammeltem Wissen

  • Literaturauswertung
  • Dokumentenanalyse beim Träger

Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

1. Zufriedenheit mit dem Hilfeverlauf

Insbesondere die Familien äußern sich sehr positiv: 76 % von ihnen sind sehr zufrieden. Die Fachkräfte dagegen sind skeptischer und kreuzen nur zu 44 % ein „sehr zufrieden“ an; 39 % von ihnen äußern sich unentschieden mit „teilweise zufrieden und teilweise nicht so zufrieden“. Auf der Skala zwischen 1 = sehr hilfreich und 4 = gar nicht hilfreich bewerten die befragten Eltern die Hilfe im Schnitt mit einem Wert von 1,6 (arithmetisches Mittel) und der zusammenfassende Indexwert der Fachkräfte fällt mit 1,7 nur geringfügig höher aus. Der eher geringe Unterschied zwischen Fachkraft- und Elterneinschätzung geht darauf zurück, dass die Eltern zwar häufiger ein „sehr hilfreich“ ankreuzen, es jedoch auch die Bewertung „war gar nicht hilfreich“ gibt. Das heißt, die Elternurteile variieren über ein größeres Spektrum als bei den Fachkräften, so dass sie sich letztendlich auf dem zusammenfassenden Index nur wenig unterscheiden.
Zudem wurden die Fachkräfte nach ihrer Einschätzung des Erfolges gefragt. Die Hilfen mit den Eltern, die sich zu einem Interview bereit erklärt haben, wurden insgesamt positiv bewertet; und zwar zu 43 % als ziemlich und zu 40 % als mittelmäßig erfolgreich. Auf die Kategorie „wenig erfolgreich“ fielen nur sieben (13 %) der Fachkrafturteile und in zwei Fällen wurde die Hilfe als nicht einschätzbar bezeichnet bzw. die Bewertung fehlt ganz.
In den Gruppendiskussionen der Fachkräfte von LebensWelt wurde moniert, Hilfeziele seien nicht selten zu hoch gesteckt, seien mit dem knapp bemessenen Stundenumfang nicht zu erreichen bzw. es müsse „erst an anderen Ecken“ gearbeitet werden, bevor die im Jugendamt entwickelten Ziele angegangen werden können. Außerdem seien die Ziele hier und da ggf. auch „eingeredet“ oder aufgezwungen.
Letztlich besteht bei allen drei befragten Gruppen (Fachkräfte in der Familienhilfe; Bezirksleiter/-innen; Jugendamts-Mitarbeiter/-innen) der Wunsch nach mehr und klarerer Kommunikation in der Erstellung und vor allem Überprüfung der Hilfeplanziele, um einen günstigeren, d. h. auch realistischen Hilfeverlauf zu gestalten. Eine weitere Gemeinsamkeit bei allen drei Gruppen liegt darin, dass es Ziele gibt, die nicht in den Hilfeplanzielen genannt werden, deren Erreichen aber ein Zeichen einer erfolgreichen Hilfe ist. Außerdem fällt bei der Gegenüberstellung der Aussagen auf, dass die Fachkräfte im Vergleich zu den RSD-Mitarbeiter/-innen insgesamt „bescheidenere“ Erfolgsmerkmale zugrunde legen. Einige Fachkräfte sehen eine Hilfe mitunter auch dann noch als (teil)erfolgreich an, wenn keines der Hilfeplanziele erreicht wurde, während von den meisten RSD-Mitarbeiter/-innen der Hilfeplan als das Kriterium verstanden wird.

2 Präferierte Hilfebereiche.

Die Unterstützung beim Umgang mit „offiziellen“ Stellen nimmt in den Augen der Eltern einen herausragenden Stellenwert ein. Die persönlichen Außenkontakte zu Verwandten und Freunden, aber auch die Beziehung zum Partner bzw. zur Partnerin sind für sie dagegen ein deutlich weniger hochrangiges Thema. Eltern fokussieren stark die Verbesserung der Situation der Kinder und die Begleitung beim Finden der (erziehenden) Mutter- bzw. Vaterrolle. Im Vergleich von Fachkräften und Familien fällt auf, dass die Fachkräfte expliziter auf die Bereinigung von Konflikten und die Erziehung der Kinder Bezug nehmen. Ebenfalls rückt für sie die Freizeitgestaltung deutlich stärker in den Vordergrund.
Der Unterstützungsbereich „Umgang mit Behörden, Schule, Kindergarten“ wird nicht nur besonders häufig als relevant in einer Hilfe definiert. Darüber hinaus wird die SPFH hier sowohl von Fachkräften als auch von Familien zu einem sehr hohen Anteil von 78 bzw. 80 % als „sehr hilfreich“ erlebt. Eine sehr große Zahl von Eltern bewertet des Weiteren die Unterstützung bei finanziellen Angelegenheiten als sehr hilfreich und auch die Hilfe beim Verkraften von Lebensereignissen nehmen besonders viele sehr gerne an. Bei diesen beiden Vorgaben ist auffällig, dass die Fachkräfte hier deutlich skeptischer urteilen. Während die Eltern sich hier sehr gut unterstützt fühlen, empfinden die Fachkräfte tendenziell eher, in den Bereichen Finanzen und Lebensereignisse weniger gut voran gekommen zu sein. Insgesamt betrachtet nutzen die Fachkräfte sehr viel zurückhaltender als die Eltern die Kategorie „sehr hilfreich“. Stattdessen kreuzen sie öfter ein „eher hilfreich“ an. Darin kann sich ihre insgesamt größere Skepsis und strengere Bewertung ausdrücken. Möglich ist auch, dass die Fachkräfte eher zu einem vorsichtigeren „eher hilfreich“ neigen und die Eltern eher „überschwänglich“ die Hilfe mit einem „sehr hilfreich“ loben wollen. Ggf. spiegelt sich in den Antworten hohe Loyalität gegenüber den Professionellen oder (diffuse) Befürchtungen spielen eine Rolle, für vorsichtige, skeptische Bewertungen negativ sanktioniert zu werden.

3. Was war hilfreich?

Aus der Liste der insgesamt 13 Statements zur Bewertung der Beziehung zwischen Fachkraft und Familie wurden von den Eltern die folgenden fünf Statements am häufigsten als „sehr wichtig“ eingestuft:
- Ich habe mich der Fachkraft voll anvertraut (87 %).
- Ich wurde von der Fachkraft über alles informiert (85 %).
- Ich wurde von der Fachkraft als Person mit meinen Eigenarten akzeptiert (84 %).
- Die Fachkraft hat an meine Kräfte und Fähigkeiten geglaubt (81 %).
- Die Fachkraft hat mich in meinem Tun, Denken und Fühlen verstanden (81 %).
Deutliches Schlusslicht in der Wichtigkeitseinschätzung ist das Item „Wir hatten ziemlich heftige Konflikte um die Sache, aber von heute aus betrachtet war das gut und hat mir was gebracht.“ Lediglich 14 % der Eltern schätzten das als wichtig ein.
Bei den Fachkräften sind es nahezu die gleichen Statements, die am häufigsten als „sehr wichtig “ eingestuft werden:
- Die Eltern haben sich mir voll anvertraut (89 %).
- Ich habe die Eltern in ihrem Tun, Denken und Fühlen verstanden (78 %).
- Die Familienmitglieder haben sich als Personen, mit ihren Eigenarten, akzeptiert gefühlt (78 %).
- Ich habe sie über alles informiert (76 %).
Insgesamt ähneln sich die Bewertungen von Familien und Fachkräften. Einen etwas größeren Unterschied gibt es lediglich beim Item „Die Fachkraft hat mich vor anderen verteidigt“. Dies fanden die Eltern zu 57 % sehr wichtig, bei den Fachkräften waren es dagegen nur 33 %. Auch hier fällt auf, dass die Fachkräfte insgesamt zurückhaltender mit der Bewertung „war sehr wichtig“ umgehen.

4. Variable Migrationshintergrund.

Insgesamt umfasst unsere zentrale Frage zehn Statements, bei denen es um die Wichtigkeit von gemeinsamer Sprache und kulturellem Hintergrund im Kontext der Hilfe ging. An den Bewertungen der Eltern und Fachkräfte wird deutlich, dass die gemeinsame Sprache und das gegenseitige Verstehen am häufigsten als sehr wichtig eingestuft werden. Hierin sind sich Fachkräfte wie Eltern einig. Bei den Statements, die sich auf das Leben in einer fremden Kultur beziehen und die die Aufgabe der Fachkräfte, zur deutschen Kultur hin zu vermitteln, beschreiben, gehen die Ansichten von Eltern und Fachkräften dagegen auseinander. Noch unterschiedlicher sind die Ansichten von Eltern und Fachkräften darin, ob die Fachkraft ebenfalls einen Migrationshintergrund haben sollte, aus der gleichen Kultur stammt bzw. Gebräuche des Kulturkreises kennen oder sich dafür zumindest interessieren sollte. All diese Aspekte sind den Eltern deutlich weniger wichtig als den Fachkräften.
Für die zehn Statements aus dieser Frage wurden zusammenfassende Indices gebildet: Wichtigkeit von Sprache; Wichtigkeit der Vermittlung zwischen den Kulturen; Wichtigkeit von Wissen über den Kulturkreis der Familie. Wie die Einzelstatements machen die Indices deutlich, dass fast allen Befragten (Familien wie Fachkräften mit Migrationshintergrund) das Sprachverstehen sehr wichtig ist. Bei den anderen beiden Indices gehen die Ansichten von Eltern und Fachkräften auseinander. Die großen Unterschiede erstaunen hier ebenso wie die Tatsache, dass den Eltern in den meisten Fällen ausschließlich die sprachliche Verständigung wichtig ist, andere Aspekte, die sich auf kulturelle Gleichklänge beziehen, jedoch eher als unwichtig bezeichnet wurden. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass 26 der 38 Eltern (72 %) sagen, sie könnten sich gut vorstellen, eine deutsche Fachkraft zu haben. Nur acht Befragte (21 %) sprechen sich explizit gegen eine deutsche Fachkraft aus. Als Gründe werden von ihnen überwiegend Sprachprobleme genannt, aber auch der Bezug zur Bedeutung der eigenen Kultur wird hergestellt.
Eltern und Fachkräfte stimmen in der quantitativen Befragung in hohem Maße darin überein, dass das gegenseitige Vertrauen und Verständnis, die gemeinsame Sprache sowie Anerkennung und praktische Hilfe von sehr hoher Bedeutung in der Hilfegestaltung sind. Eine loyale, kontrollierende Beziehung wird etwas weniger wichtig, aber immer noch mit einem „eher wichtig“ bewertet. Während sich bei der Beurteilung dieser Beziehungsaspekte zwischen Fachkraft und Eltern hohe Übereinstimmung zeigt, gehen die Ansichten bei Merkmalen, die sich auf den gemeinsamen kulturellen Hintergrund beziehen, auseinander. Zwar wird die Sprache als gemeinsame Basis sehr hoch geschätzt, die kulturelle Seite des von Fachkraft und Eltern geteilten Migrationshintergrunds spielt dagegen in den Augen der Eltern eine weniger bedeutsame Rolle. Den Fachkräften sind dagegen ihre vermittelnde Rolle zwischen dem Kulturkreis der Familie und der deutschen Kultur sowie ihr Wissen um diese beiden Kulturkreise genauso wichtig wie z. B. die Sprache oder eine gemeinsame Vertrauensbasis.

5. Fazit zur Forschungsfrage.

Die Bilanz zur Frage „Gibt es Zusammenhänge zwischen der Wahrnehmung einer Wirksamkeit der Hilfe und der Hilfezufriedenheit mit der interkulturellen Kompetenz?“ fällt auf der Grundlage der harten Daten der quantitativen Befragung zwar ernüchternd aus. Dennoch liefert dieser Evaluationsbericht viele Detailansichten im Sinne einer empirisch fundierten Sehhilfe, um Wahrnehmung auf Geleistetes und Bewährtes zu schärfen, Entwicklungsherausforderungen zu bestimmen und zu konzeptualisieren sowie Generalisierungen vorzubeugen bzw. diese zu verflüssigen.
Positiv zu Buche schlägt, dass die Eltern mit ihren Hilfen sehr zufrieden sind und die Beziehung zu den Fachkräften zum überwiegenden Teil als hilfreich und bedeutsam erleben. Die Adressat/-innen bringen klar zum Ausdruck, dass ihnen neben einer vertrauensvollen Beziehung zur Fachkraft persönliche Anerkennung und praktische Unterstützung ebenso sehr wichtig sind wie die Möglichkeit, sich bei Bedarf im Rahmen der Hilfe mit der Fachkraft in ihrer Muttersprache verständigen zu können. Ob die Fachkraft aus dem gleichen Kulturkreis kommt wie die Eltern und damit über ganz persönliche Kenntnisse zum gemeinsamen Kulturkreis verfügt, ist im Empfinden der Eltern dagegen weniger wichtig als eine vertrauensvolle Beziehung im Allgemeinen. Auch die mögliche Rolle der Fachkräfte, zwischen der Herkunftskultur der Familien und der deutschen Kultur zu vermitteln, scheinen befragte Eltern mehrheitlich eher wenig wahrzunehmen. Vor dem Hintergrund, dass nahezu alle Eltern sagen, die Fachkräfte hätte ihnen beim Umgang mit Behörden, der Schule oder der Kindertagestätte (also bei der Gestaltung von „offiziellen Außenkontakten“) geholfen, erstaunt diese Bewertung. Ob und welche Ambivalenzen ggf. in der Bewertung der Hilfebeziehung bestehen, sich eine gleichkulturelle Fachkraft „nur wegen der Sprache“ zu wünschen und gleichzeitig den Bezug zum gleichen Kulturkreis nicht zu benötigen, lässt sich auf der Basis der quantitativen Ergebnisse nicht beantworten.
Die übergreifende Frage, ob nun der interkulturelle Kontext einer Hilfe (hier verstanden im Sinne einer „Vermittlung“ zur deutschen Gesellschaft, die von „gleich-“ bzw. „ähnlichkulturellen“ Fachkräften getragen wird) bedeutsam für die Hilfezufriedenheit und den Erfolg ist, bleibt auf der Grundlage der dargestellten Ergebnisse letztendlich offen. Aus Sicht der Eltern mit Migrationshintergrund wird diese Art der Hilfegestaltung zwar sehr positiv bewertet, steht jedoch nur sehr schwach in Zusammenhang mit der Zufriedenheit, mit subjektiver Hilfewahrnehmung oder einer Erfolgseinschätzung der Fachkräfte. Bei den Fachkräften sind die Zusammenhänge etwas stärker ausgeprägt. Sie sind aber auch bei ihnen weit davon entfernt, als klare, eindeutige und enge Zusammenhänge gelten zu können.
Aus den Aussagen der Familienhelfer/-innen, der Bezirksleiter/-innen, der Führungskräfte und der RSD-Mitarbeiter/-innen wird deutlich, dass ein Zusammenhang in der Wahrnehmung der Wirksamkeit der Hilfe und der Hilfezufriedenheit mit der interkulturellen Kompetenz zu bestehen scheint. Als entscheidender Grund für eine erfolgreiche SPFH wird von allen befragten Gruppen die gelingende Beziehung zwischen Familienhelfer/-in und Familie gesehen. Diese Beziehung wird ganz entscheidend von den interkulturellen Kompetenzen der Fachkraft geprägt. Die sprachlichen Kompetenzen der Fachkraft ermöglichen oft erst eine Kommunikation mit den Familien, ohne die ein Hilfeverlauf kaum vorstellbar ist. Aber auch die anderen interkulturellen Kompetenzen, die sowohl von den „allgemeinen“ sozialarbeiterischen Fähigkeiten als auch von den speziellen Kenntnissen über kulturelle, ethnische, politische und religiöse Hintergründe der Familien geprägt sind, entscheiden über angekoppelte Hilfekonzepte, reflektierte Arbeitsbeziehungen, kommunikatives Gelingen.
Der Träger schafft es offenkundig, ein haltendes, tragendes interkulturelles Milieu bereit zu stellen. Interkulturell förderliche Milieus lassen sich zwar als Möglichkeitsraum und gelegenheitsstruktureller Kontext gestalten, die Effekte auf Seiten der Trägermitarbeiter/-innen sind allerdings nicht zielgerichtet „manipulierbar“. Es steht außer Frage, dass Interkulturalität ein primäres und integrierendes Merkmal der Organisationskultur ist, das bei LebensWelt weder den Status von Beiläufigkeit einnimmt noch allein gestellt und mechanisch-penetrant vorgetragen wird. Vielleicht „ist“ Interkulturalität sogar der organisationskulturelle Identitätskern.


Auch unsere Untersuchung bestätigt den Leitsatz: Kulturelle und ethnische Differenzen sollten nicht hervorgehoben werden. Dort, wo sie bedeutsam sind, sollte man sie jedoch nicht übergehen. Der Kern erfolgreicher Arbeit mit Familien ist allerdings immer eine wertschätzende, ressourcenorientierte und subjektadäquate professionelle Haltung.