04/2005 – 01/2006

Prof. Dr. Mathias Schwabe / Dipl. Sozpäd. Jan Stähr

Veröffentlichung
Der Evaluationsbericht ist hier (PDF Dokument 437 kB) erhältlich.

Auftraggeber
Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport des Landes Berlin

Aufgabe
Senatsbehörde und Jugendamtsleitungwünschten einen Bericht zum Zwischenstand des Berlin-weit angelaufenen Projektes „Sozialraumorientierung in der Berliner Jugendhilfe“. Das Jugendamt Tempelhof-Schöneberg stellt in Berlin den Vorreiter für diese fachliche und organisatorische Neuorientierung dar. Mit der Untersuchung war die Erwartung verknüpft, zum einen die Erfahrungen und Einschätzungen der Basis-Mitarbeiter des Öffentlichen Trägers und der Freien Träger (Schwerpunktträger-Modell) kennen zu lernen und auszuwerten und zum anderen Gesichtspunkte für Transfer-Möglichkeiten für die anderen Berliner Bezirke zu gewinnen bzw. möglichen Fehlentwicklungen vorzubeugen.

Vorgehen/Methode
Gemeinsam mit der Leitung des Jugendamtes wurden drei (von insgesamt sieben) Ortsteilteams und sechs (von insgesamt 14) „Kiezteams“ ausgewählt, in denen die insgesamt ca. 100 Mitarbeiter nach ihren Erfahrungen gefragt wurden. Dabei wurden durchaus auch kritische Teams bzw. Mitarbeiter berücksichtigt. Die unterschiedlichen Teams wurden mit Hilfe von Gruppeninterviews befragt, die Interviews transkribiert und in drei Verdichtungsstufen ausgewertet. Vorab wurde mit Hilfe individueller Fragebögen das Meinungsspektrum der Mitarbeiter in den einzelnen Teams erfasst, um abschätzen zu können, ob die im Gruppeninterview geäußerten Einschätzungen auch die gesamte Bandbreite der individuellen Meinungen abbilden und um zu verhindern, dass Einzelpersonen sich mit Einzelmeinungen zu Sprechern der schweigenden Gruppe machen. Diese Vorsichtsmaßnahme stellte sich als überflüssig heraus. In allen Gruppeninterviews äußerten sich jeweils viele Mitarbeiter mit sehr differenzierten und zum Teil auch kontroversen Standpunkten

 

Ausgewählte Ergebnisse

  • Alle Mitarbeiter waren sich einig, dass sich die Kooperation zwischen den Mitarbeitern des Jugendamtes und denen des Schwerpunktträgers durch die wöchentlich stattfindenden Fallteams wesentlich verbessert hat. Die frühzeitige und regelmäßige Diskussion von „Fällen“ noch vor ihrer Festlegung als Fälle für „Hilfe zur Erziehung“ wurde als entlastend und bereichernd erlebt. Über das Fallteam hinaus führt das gegenseitige Kennen(lernen) zu mehr gegenseitiger Wertschätzung und „kürzeren“ Kommunikationswegen, auch außerhalb der gemeinsamen Sitzungen.
  • Die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren und Behörden im Stadtteil hat sich wesentlich erweitert, ohne dass dies zu einer Überforderung des Jugendamtes durch zu viele Gremien oder zu viele „Ansprüche“ von außen führt. Insbesondere die Kooperation mit Schulen, Kirchengemeinden und der Polizei konnte vielerorts verbessert werden. Trotzdem wird von etlichen Mitarbeitern eingefordert, die Sozialraumorientierung über die Einbeziehung von so verschiedenen Akteuren wie Stadtbauamt, Wohnungsbaugenossenschaften, Berliner Bäder Betrieben etc. auf eine noch breitere Basis zu stellen.
  • Die striktere Orientierung am „Willen“ der (möglichen) Adressaten wird von vielen Mitarbeitern als sinnvoll und herausforderungsvoll erlebt. In „Kinderschutzfällen“ und im „Graubereich“ ist diese alleine allerdings fachlich häufig nicht vertretbar. Ob die Orientierung am „Willen“ sprachgewandter „Mittelschichts-Angehöriger“ mit klaren Vorstellungen gegenüber weniger sprachkompetenten und stärker ambivalenten „Unterschichts-Angehörigen“ bevorzug bzw. letztere ins Hintertreffen geraten lässt, muss beobachtet werden.
  • Das gemeinsame Entwickeln von „maßgeschneiderten“ bzw. kreativen Hilfeformen jenseits der §§ 29 und 35 a wird noch wenig praktiziert. Hierzu bedürfen die Mitarbeiter noch der Ermutigung und der steten Erfahrung, dass mit der wirtschaftlichen Jugendhilfe gemeinsame Lösungen gefunden werden können.
  • Im Verlauf der letzten zwei Jahre wurden etliche neue Praxisprojekte realisiert, welche die soziale Infrastruktur verbessert bzw. enger an die Bedarfe der Bürger angepasst haben. Gleichzeitig sind aber auch Angebote eingestellt worden bzw. musste viel Kraft in den Erhalt lebensfeldnaher Unterstützungsformen investiert werden.
  • Eine Mehrheit der Mitarbeiter verbindet mit dem Konzept Sozialraumorientierung nach eigenen Aussagen inzwischen eigene fachliche Gewinne. Durch den Wegfall von Stellen im Jugendamt und die prekäre Finanzlage etlicher Freier Träger drohen aber Erschöpfung, Enttäuschungen und Zukunftsängste das Arbeitsfeld zu dominieren. Das Projekt „Sozialraumorientierung“ könnte an der mangelnden Ausstattung mit Personal und Finanzen (Strukturqualität) scheitern.
  • Zur Realisierung der von vielen als wichtig und interessant erachteten „fallunspezifischen“ Arbeit fehlen bisher klare Vorgaben über Ausmaß, Zielstellung und Ressourcen. Ähnliches gilt für die dringend erwarteten „Sozialraumbudgets“. In Teilbereichen wurden flexible, unbürokratische Lösungen gefunden
  • Die gemeinsamen Fortbildungen zur Ressourcenorientierung, Hilfeplanung und Kollegialen Beratung stellen eine wichtige Ressource dar, um Berlin-weit eine gemeinsame Fachsprache zu entwickeln. Sie bedürfen zu einer gelungenen Realisierung praxiskompetenter Fortbildner einerseits und andererseits der aufmerksamen Begleitung und Unterstützung durch die Leitungskräfte vor Ort.
  • im Sinne einer klareren Zielorientierung und eines stärkeren Handlungsbezugs inzwischen erreicht wurde und an den Hilfeplanformularen ablesbar ist (oder was dem entgegensteht) soll in einer weiteren Teiluntersuchung bis Ende des Jahres untersucht werden.