Wissenschaftliche Begleitung von "Settings mit besonderen Interventionsformen" im Verbandsgebiet des Evangelischen Fachverbands für Erziehungshilfen in Westfalen-Lippe (Eckart)


06/2003 07/2006


Prof. Dr. Mathias Schwabe / Thomas Evers / David Vust

Veröffentlichung
Schwabe, M., Evers, Th., Vust, D.: Wie erfolgreich arbeiten Settings für Systemsprenger mit Elementen von Zwang in sozialpädagogischer Absicht? In: "Evangelische Jugendhilfe" Heft 3/2005, S. 159-169

Die Zwischenberichte können über Frau Wegehaupt-Schlund vom Fachverband Eckart bezogen werden. Kontakt: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Buchveröffentlichung 2007: Mathias Schwabe, Zwang in der Heimerziehung: Chancen und Risiken, Reinhardt-Verlag. Es ist hier erhältlich

Auftraggeber
Evangelischer Fachverband für Erziehungshilfen in Westfalen- Lippe (Eckart).

 

Aufgabe
Der Fachverband machte allen Einrichtungen, die Settings mit Formen geschlossener Unterbringung oder anderen Zwangselementen etablieren wollten, die Teilnahme an einer wissenschaftlichen Begleitung zur Auflage. Dies wurde von allen interessierten Einrichtungen sehr gern angenommen. Das Landesjugendamt Westfalen-Lippe erteilte jedoch keine Betriebsgenehmigung für Gruppen mit "individuell geschlossenen Plätzen". Deshalb gingen die drei Einrichtungen dazu über ihre Settings mit "besonderen Interventionsformen" unterhalb der Schwelle von geschlossener Unterbringung auszustatten. Diese besonderen Interventionsformen sind: Ein "Auszeitraum" für eskalierende Kinder in zwei Einrichtungen; ein verpflichtendes Punkte- und Stufenprogramm, das den Zugang zu Privilegien in einer Einrichtung regelt; begrenzte Schließzeiten für drei Zeiträume am Tag in zwei Einrichtungen; ein Platz für "nächtlichen Einschluss" in einer Einrichtung. Die "Wissenschaftliche Begleitung" sollte einerseits die Konzeptionsentwicklung vor Ort unterstützen helfen, andererseits auch durch regelmäßige Beobachtungen und die Formulierung von Rückmeldungen die Projektzeitraums sollten Aussagen über Nebenwirkungen dieser Projekte formuliert werden.

 

Vorgehen/Methode
Regelmäßige „teilnehmende Beobachtung“ vor Ort wurde kombiniert mit Aktenanalysen und Befragungen der Kinder, Mitarbeiter und Eltern. Mit Hilfe von Video-Feedback wurden Mitarbeiter angeleitet zentrale Settingelemente einzuüben. In gemeinsamen Projekttagen wurden sowohl Praxis-Leitfäden als auch QM-Richtlinien und Dokumentationsverfahren erstellt.

 

Ausgewählte Ergebnisse

Bei allen Ergebnissen ist zu bedenken, dass es sich um kleine Fallzahlen handelt, auf die wir unsere Aussagen stützen. Insgesamt wurde von uns in den zwei Jahren die Entwicklung von 38 Kindern und Jugendlichen in Ausschnitten verfolgt.

  • Auszeiträume sind für Kinder geeignet, die immer wieder in Hocherregungszustände geraten, wenn dabei bestimmte Fachrichtlinien beachtet werden. Bei den Befragungen zeigten die Kinder in beiden Einrichtungen keine Anzeichen von Angst oder Verunsicherung in Bezug auf den Auszeitraum. Im Gegenteil: Sowohl die Kinder, die den Raum „am eigenen Leib“ erlebt hatten, als auch die Kinder, die die Verbringung anderer Kinder in diesen Raum beobachtet hatten, standenihm überwiegend positiv gegenüber. Einige der Kinder lernten den Raum für sich zu nutzen und suchten ihn freiwillig oder nach mündlicher Aufforderung auf. Klare Auflagen Seitens des Landesjugendamtes bezogen auf Konzeptqualität und Dokumentation sowie die Begleitung der Auszeitraum-Nutzungen durch Vorgesetzte vor Ort sind unbedingt erforderlich und werden auch von den Einrichtungsmitarbeitern als eine sehr hilfreiche Form der Kontrolle erlebt. Bezogen auf den Status der Raumnutzung (Freiheitsentzug oder Freiheitsbeschränkung) und insofern auch auf die Einbeziehung von Familienrichtern konnte rechtlich keine eindeutige Einordnung getroffen werden (Freiheitsbeschränkung oder Freiheitsentzug oder keines von beiden). Zum Teil lehnten Familienrichter ihre Zuständigkeit für die Auszeitprozedur ab und erklärten diese zu einer pädagogischen Maßnahme in Verantwortung der Einrichtung und des Jugendamtes bzw. der Eltern. Offensichtlich müssen für rechtliche Fragen jeweils Lösungen zwischen einzelnen Einrichtungen und einzelnen Landesjugendämtern gefunden werden.
  • Punkteprogramme, die den Jugendlichen je nach Leistung und Mitarbeit bestimmte Privilegien-Stufen zuordnen, können für etwa die Hälfte der mittelfristig untergebrachten Jugendlichen als entwicklungsförderlich angesehen werden. Der individuelle Punkte- bzw. Stufenverlauf dieser Jugendlichen weist eindeutig auf eine positive Tendenz hin. Sie stabilisieren sich mit Hilfe des Punkteprogramms, häufig das erste Mal seit Jahren. Die andere Hälfte der Jugendlichen lässt sich nicht auf das Punktesystem ein oder arbeitet nur mit geringem Erfolg daran mit.
  • Fallverstehen als Basis für die Entwicklung eines adäquaten Erziehungshilfesettings fand bei den von uns begleiteten Fällen in den Jugendämtern kaum und auch in den Einrichtungen zu wenig statt. Vor allem in Bezug auf die Frage, für welche Kinder und Jugendlichen Zwangselemente hilfreich und für welche eher kontraproduktiv sein können, gibt es kaum gemeinsame Ansätze zur Reflexion und Verständigung. Die Zuweisung erfolgt unter Handlungsdruck und ohne hinreichende Analyse des letzten Abbruchs.
  • Nächtlicher Einschluss kann ein Settingelement darstellen, das es einer Einrichtung erlaubt sich auf ein nächtlich agierendes Kind einzulassen (Zündeln, sexuelle Übergriffe etc.). Der Übergang zu weniger kontrollierten Formen gelingt (nur noch Bewegungsmelder als Kontrolle). Der weitere Erfolg wird aber durch die pädagogische Arbeit am Tage erreicht oder verfehlt.
  • Keines der drei Gruppen konnte sich im Untersuchungszeitraum als ein spezifisches Systemsprenger-Projekt ausweisen. Dazu waren die Abbruchquoten in zwei Einrichtungen zu hoch (um die 30 %) und in einem Fall die Zielgruppe zu wenig spezifisch. Anders: Die Projekte konnten sich nur zum Teil als „haltende Settings“ über mehrere Jahre und mehrere Krisen hinweg etablieren. Die Hauptschwierigkeiten, die zu Abbruch, Verlegung oder Psychiatrieaufenthalt führten, waren „Gewalt“ und „Drogenkonsum“. Man sollte allerdings berücksichtigen, dass neue Konzeptionen zu ihrer Etablierung mindestens drei Jahre benötigen.